Da ich bemerkt habe, dass er in letzter Zeit recht häufig gelesen wird, habe ich ihn nun hier oben hingepinnt. Nach wie vor hat sich nichts geändert, er ist hochaktuell und das Thema geht mir persönlich sehr nahe.

Von den Symbolen zu nehmen ist ein Akt des
Gehorsams, nicht der Hochmut. Ein Zeichen der Unterwerfung, nicht der
Anmaßung. Ein Zeichen der Erkenntnis, nicht der eigenen Irreführung.
In den kommenden Tagen werden dann diese
eigentlich treuen, christlichen Zeugen Jehovas Rückfragen zu erwarten haben -
einige aus purer Neugier, einige aus gewisser Empörung heraus, wie das denn
sein kann und andere, die einen auf die Probe stellen wollen. In der
gegenwärtigen Atmosphäre innerhalb der Organisation sollte man seine Zunge im
Zaum halten und am besten einfach sagen, dass es eine sehr persönliche,
fundierte Entscheidung war. Während man sich zurückhält, werden sich vermutlich
Gelegenheiten auftun, zu erklären, was die Bibel der eigenen aufrichtigen
Erkenntnis nach zu dem Thema wirklich lehrt. Hierzu soll im Folgenden eine
erfundene, aber absolut realistische Begebenheit dargestellt werden, was einige
in den nächsten Wochen zu erleben haben.
Es war der Abend vom 17. April nach Ende der Dienstzusammenkunft.
Bruder Pretz, der Koordinator der Ältestenschaft, berief ein kurzes Treffen der
Ältesten ein. Die acht Ältesten der Versammlung gingen in den
Besprechungsraum kurz nach Ende der Zusammenkunft. Ihre Frauen waren
natürlich mental schon darauf vorbereitet, dass "kurz" wohl das
falsche Wort für eine solche Besprechung war.
Felix Hoffmann war unter denen, die als letzte reinkamen. Er war 35 und das
neueste Mitlied der Ältestenschaft. Seit 3 Jahren war er erst Ältester. Er
hatte einen dänischen Vater und eine spanische Mutter und sie machten ihm das
Leben schwer, als er sich mit 18 taufen lies und kurz danach Pionier wurde.
Der Grund für die kurzerhand einberufene Besprechung wurde nicht von der
Bühne aus gesagt, aber Felix hatte schon eine Vorstellung davon, um was es nun
gehen sollte. Nur drei Tage zuvor hat er seine Angst überwunden und beim Gedächtnismahl
von Brot und Wein genommen. Er hatte noch immer den perplexen und erstaunten
Gesichtsausdruck von Nick Lehmann vor Augen, der sein bester Freund unter
seinen Mitältesten war und nun auch anwesend war. Er konnte sich auch an das
Getuschel und Geflüster von den Plätzen auf der anderen Seite des Ganges und
von hinter sich erinnern. Von seinem Vater hatte er seine sehr helle Haut und
er war sich sicher, dass sein rot angelaufenes Gesicht, das wohl sein Gefühl in
dem Moment recht gut darstellte, jedem auffiel. Ironischerweise tat er jedoch
eines der selbstverständlichsten Dinge für einen Christen und trotzdem fühle er
sich in gewisser Art und Weise wie ein bloßgestellter Verbrecher.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als der KdÄ (Koordinator der Ältestenschaft) sagte: "Bitte lasst uns zuerst ein Gebet sprechen." Der KdÄ senkte den Kopf, sprach ein kurzes Gebet, danach schaute er jeden kurz an, vermied jedoch Blickkontakt mit Felix. Doch jetzt schaute er ihn direkt an. "Du weißt, dass wir dich alle wirklich sehr schätzen, Bruder Hoffmann?" Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern fügte gleich hinzu: "Einige haben sich besorgt darüber geäußert, was am Gedächtnismahl vor sich ging. Könntest du dazu etwas sagen?"
Uwe, der KdÄ, benutzte eigentlich immer die Vornamen bei solchen
Besprechungen. Dass er es jetzt nicht tat, schien nichts Gutes zu bedeuten. Felix
räusperte sich, sprach im Stillen ein Stoßgebet bei sich selbst und antwortete:
"Ich gehe davon aus, dass du dich darauf beziehst, dass ich von den
Symbolen nahm?!"
"Natürlich", antwortete Uwe, "Warum hast du uns denn nicht
gesagt, dass du das vorhast? Wir wussten ja gar nicht, wie wir mit der
Situation umgehen sollten."
Viele nickten oder murmelten bejahend.
"Darf ich dich zuerst mal etwas fragen, Bruder Pretz?", fragte Felix.
Uwe nickte recht unscheinbar und Felix fügte hinzu: "Sehe ich das
richtig, dass diese Besprechung einberufen wurde, weil ihr enttäuscht seid,
dass ich euch nicht 'vorgewarnt' habe?"
"Du hättest uns wirklich etwas sagen sollen!", unterbrach Bruder Köhler
und hätte noch weiter ausgeholt, wenn Uwe nicht die Hand gehoben hätte, um ihn
wiederum zu unterbrechen.
"Brüder, es tut mir Leid", sagte Felix, "Wenn ihr euch
übergangen fühlt, möchte ich mich hiermit entschuldigen. Aber bitte versteht,
dass das eine sehr persönliche Entscheidung war, die ich nach sehr vielem Beten
und Nachsinnen getroffen habe."
Das heizte Bruder Köhler anscheinend weiter an: "Aber warum hast du
das denn gemacht? Glaubst du wirklich, dass du ein Gesalbter bist?"
Felix war Dienstamtgehilfe gewesen, als Josef Köhler zum Ältesten ernannt wurde. Er
erinnerte sich, dass er etwas erstaunt war, dass der aufbrausende Josef ernannt
wurde. Felix dachte sich damals, dass seine Einschätzung von Josef vielleicht
unbegründet sei und Josef im Laufe der Zeit vielleicht ja reifer werden würde und
sich dann auch mal zurückhalten könnte. Doch in letzter Zeit schien seine
ursprüngliche Persönlichkeit mit Zügen von gewissem Egozentrismus wieder
aufzuflammen.
Den Wunsch unterdrückend, Josef in die Schranken zu weisen, sagte Felix
ruhig: "Bruder Köhler, Ich glaube wirklich nicht, dass das eine
angebrachte Frage ist."
"Warum nicht?", antwortete Josef, erstaunt von der Antwort auf
seine in seinen Augen gerechtfertigte Empörung.
"Bruder Köhler, bitte", sagte Uwe Pretz im Versuch eine
beruhigende Stimme zu haben. Er wandte sich zu Felix und erklärte: "Die
Brüder sind nur etwas verdutzt, weil... nunja, weil du so vergleichsweise jung
bist."
Uwe Pretz war ein großer Mann mit einem freundlichen Gesicht. Dennoch hatte
Felix auch schon eine andere Seite von ihm erlebt über die Jahre - einen
autokratischen Uwe, der für die ganze Ältestenschaft Entscheidungen trifft,
ohne sich an die offiziellen Vorgehensweisen zu halten. Die meisten hatten
einfach Angst, etwas dagegen zu sagen. Er war nicht nur in der dritten
Generation "in der Wahrheit", sondern hat nun auch schon seit fast
vier Jahrzehnten als Ältester gedient und hatte beste Beziehungen.
Nichtsdestotrotz war Felix von ihm nicht wie die anderen eingeschüchtert, auch
wenn er ihn schätzte. Dadurch prallte er mit Uwe mehr als einmal aneinander,
immer wenn klar war, dass ein biblischer Grundsatz eigentlich missachtet wurde.
Felix antwortete sehr gefasst: "Liebe Brüder, wenn ihr das Gefühl
habt, dass ich etwas Falsches gemacht habe, dann zeigt es mir bitte anhand der
Bibel und ich werde euren Rat gerne annehmen und meine Sichtweise entsprechend
ändern."
Mario Günthers, ein ruhiger Bruder, der bei Besprechungen eigentlich immer wenig
sagte, fragte für ihn ganz untypisch: "Bruder Hoffmann, glaubst du
wirklich, du bist ein Gesalbter?"
Felix antwortete etwas überrascht, auch wenn diese Frage unvermeidlich war:
"Mario, verstehst du wirklich, was du mich da fragst? Ist es das, worauf
du hinauswillst?"
Josef sprach dazwischen: "Mittlerweile scheinen ja eine ganze Reihe
von Brüdern von den Symbolen zu nehmen - auch Brüder die es eigentlich nicht
sollten..."
Felix sagte: "Bitte Josef, ich möchte noch den Gedanken mit Mario zu
Ende bereden." Er wandte sich zu Mario und fuhr fort: "Du fragst dich
also, ob ich mich für einen Gesalbten halte. Unsere Publikationen sagen doch
klar, dass jemand nur dann von den Symbolen nehmen sollte, wenn er von Gott
erwählt wurde. Glaubst du das?"
"Natürlich", antwortete Mario selbstsicher.
"Na dann - entweder hat mich also Gott erwählt oder eben nicht. Wenn
er es tat, warum richtest du mich dann? Ich habe dich immer geschätzt, Mario,
daher verletzt es mich, dass du mich so infrage stellst."
Josef räusperte sich lautstark. Er saß mit verschränkten Armen da und lief
sichtbar rot an. Felix merkte, dass jetzt ein guter Zeitpunkt war, um einige
klare Antworten zu geben. Er schaute Josef an und sagte zu ihm: "Du denkst
dir vermutlich, ich mache mir was vor." Josef schüttelte daraufhin leicht
seinen Kopf. "Oder du glaubst, dass ich mir etwas anmaße." Josef zog
die Augenbrauen hoch und schaute ihn mit einer Mine an, die Bände sprach.
Während dieser Konversation war Felix nach vorn gelehnt, mit den Ellbogen
auf dem Besprechungstisch, und sprach sehr ernsthaft. Jetzt lehnte er
sich zurück, schaute langsam am Tisch herum, stellte mit jedem
Augenkontakt her und sagte dann: "Brüder, wenn ich mir selbst etwas
vormache, dann merke ich das natürlich selbst nicht. Oder? In dem Fall würde
ich von den Symbolen nehmen, weil ich wirklich glauben würde, dass ich es
sollte. Und wenn ich es aus Anmaßung heraus oder weil ich mich für etwas
Besonderes halte von den Symbolen nehmen würde, dann würde ich es ebenfalls
tun, weil ich glaube, dass ich es sollte. Und wenn ich aus biblischen Gründen
von den Symbolen nehme, dann nehme ich ja auch davon, weil ich glaube, dass ich
es sollte. Wie ich schon sagte - es ist eine sehr persönliche Entscheidung. Es
ist eine Sache zwischen mir und Gott. Ist es also wirklich angebracht, jemand
wegen dieser Angelegenheit auszuquetschen?"
"Aber es quetscht dich doch niemand aus", sagte Uwe Pretz, bemüht
einen ruhigen Ton in der Stimme zu haben.
"Ach wirklich? Es fühlt sich nämlich für mich so an."
Bevor Uwe mehr sagen konnte, lehnte sich Josef nach vorn, sein Gesicht
erfüllt mit schlecht zurückgehaltener Wut. "Du willst uns ernsthaft
glauben machen, dass Jehova dich aus allen Brüdern dieses Kreises heraus
ausgewählt hat, von denen viele ihr Leben lang im Pionierdienst standen und
doppelt so alt wie du sind?"
Felix schaute Richtung Uwe, der wiederum Josef bat, sich zurückzulehnen und
zu beruhigen. Er lehnte sich daraufhin auch zurück, aber seine Haltung war
alles andere als entspannt. Er verschränkte wieder die Arme und gab einen
entnervten Schnaufer von sich.
Felix sagte inständig: "Bruder Köhler, du kannst glauben, was du
möchtest. Ich bitte dich schließlich nicht darum, irgendwas zu glauben. Dennoch
gibt es nur zwei Möglichkeiten, wenn du es schon ansprichst: Entweder hat
Jehova mich erwählt. In diesem Fall wäre es falsch für jemand, Gott für seine
Entscheidung zu kritisieren. Oder Jehova hat mich nicht erwählt und ich maße
mir das Nehmen von den Symbolen nur an. In diesem Fall wird Jehova selbst mich
richten."
Wie wenn man einem Hund einen Knochen hinwerfen würde, antwortete Josef sofort:
"Und was davon trifft wohl auf dich zu?"
Felix schaute nochmal in die Runde bevor er antwortete: "Was ich jetzt
sagte, sage ich in allem Respekt dir und den anderen Brüdern hier gegenüber. Es
war eine persönliche Entscheidung. Es geht wirklich niemand anders was an. Ich
halte es für meine Privatangelegenheit und möchte nicht weiter darüber
diskutieren.“
Nochmals sagte der sonst so ruhige Mario etwas dazu: "Bruder Hoffmann,
Ich würde gerne wissen, was du über die Ansicht der Leitenden Körperschaft
bezüglich dem Nehmen der Symbole denkst." Es ist, als hätte man ihn für
dieses Gespräch geschult, dachte sich Felix.
"Mario, merkst du nicht, dass die Frage ungehörig und unangebracht
ist?"
"Ich glaube nicht, dass sie unangebracht ist. Ich denke, wir alle
verdienen eine Antwort darauf." Sein Ton war freundlich, aber bestimmt.
"Was ich sage ist, dass es völlig unangebracht ist, dass du einen
Mitältesten das fragst."
Uwe Pretz sagte: "Ich glaube aber auch, dass die Frage berechtigt ist,
Felix."
"Brüder, Jehova sprach mit Adam und Eva jeden Tag und nicht ein einziges
Mal hat er ihre Loyalität und ihren Gehorsam infrage gestellt. Er tat das
erst, als sie sich aus Scham für ihr falsches Handeln vor ihm versteckten, dass
er sie gefragt hat, ob sie von der verbotenen Frucht gegessen hätten. Wir
wollen doch unseren Gott Jehova nachahmen, der auch keine solchen Sondierungsfragen
stellte, oder? Zumindest solange es dafür keinen Anlass gibt. Habe ich euch
denn etwa irgendeinen Grund geliefert, meine Loyalität infrage zu
stellen?"
"Du lehnst es also ab, uns zu antworten?"
"Ihr kennt mich nun seit fast 9 Jahren. Habe ich euch während derzeit
jemals einen Anlass für Bedenken gegeben? Habe ich mich Jehova oder Jesus oder
irgendeinen biblischen Lehre gegenüber je als absichtlich unloyal erwiesen? Ihr
kennt mich doch. Warum fragt ihr mich das also?", antwortete Felix, um das
Thema abzuschließen.
"Warum weichst du aus? Warum möchtest du auf diese einfache Frage
nicht antworten?" fragte der KdÄ eindringlich.
"Einfach, weil ich denke, dass eine Antwort euch das Recht gibt, eine
völlig unberechtigte Frage zu stellen. Brüder, ich glaube fest, dass das einen
Geist unter uns versprüht, der in unsere Besprechungen nicht hingehört."
Heinrich Winkler, ein freundlicher alter Bruder mit 73 Jahren sagte nun
auch was dazu: "Bruder Hoffmann, wir stellen dir diese Fragen doch nur,
weil wir dich schätzen und uns Sorgen machen. Wir wollen doch nur, dass bei dir
alles in Ordnung ist."
Felix lächelte den älteren Mann warmherzig an und antwortete: „Heinrich,
ich schätze dich sehr und das weißt du auch. Aber mit diesen gutgemeinten Worten
hast du unrecht. Die Bibel sagt schließlich, dass sich die Liebe ‚nicht
unanständig benimmt‘ und sich ‚nicht aufreizen lässt‘. Er schaute kurz auf Josef
Köhler, als er das sagte, dann zurück auf Heinrich. "‘Sie freut sich nicht
über Ungerechtigkeit, sondern freut sich mit der Wahrheit. Sie erträgt alles,
glaubt alles, hofft alles, erduldet alles.‘ Alles, worum ich euch bitte, ist, dass
ihr mir Liebe erweist, indem ihr mir glaubt und mir vertraut. Zweifelt doch
nicht an meiner Loyalität - schließlich liefere ich euch keinen Grund
dafür!"
Er schaute nun alle anwesenden Brüder an und sagte: "Brüder, wenn ihr
mich wirklich liebt, dann werdet ihr mich so nehmen, wie ich bin. Wenn ihr mich
wirklich liebt, dann werdet ihr meine Entscheidung respektieren und es dabei
belassen. Bitte stoßt euch nicht daran, aber ich werde über dieses Thema nicht
weiter mit der Ältestenschaft diskutieren. Es ist eine persönliche Sache und
ich bitte euch darum, das zu respektieren."
Man konnte vom anderen Ende des Tisches einen lauten Seufzer hören. Uwe Pretz
sagte: "Dann glaube ich, diese Besprechung wäre zu Ende. Bruder Winkler,
sprichst du bitte ein Abschlussgebet für uns?" Josef Köhler schaute als ob
er noch etwas hätte sagen wollen, aber Uwe schaute ihn an und schüttelte leicht
den Kopf, um ihm zu zeigen, dass jetzt kein passender Zeitpunkt dafür wäre.
Missmutig schaute Josef wieder in eine andere Richtung.
Am nächsten Samstag ging Felix zusammen mit seinem Freund und Mitältesten Nick
Lehmann in den Dienst. Sie machten eine Kaffeepause in einem kleinen Cafè, das
sie beide mochten. Als sie dort mit Kaffee und Gebäck saßen, sagte Felix:
"Ich war ein bisschen überrascht, dass du bei der Ältestenbesprechung am
Donnerstag überhaupt nichts gesagt hast."
Nick schaute erst ein bisschen wie ein Schaf. Man konnte ihm ansehen, dass
er darüber schon nachgedacht hatte. "Es tut mir wirklich leid, aber ich
wusste einfach nicht, was ich hätte sagen sollen. Ich... ich... fand einfach
keine Worte."
"Warst du überrascht?"
"Überrascht wäre ziemlich untertrieben!"
"Sorry Nick, du bist ein guter Freund, aber ich war der Meinung, dass
es am besten ist, das Thema komplett für mich zu behalten. Eigentlich wollte
ich es dir ja schon vorher sagen, aber ich kam zu dem Schluss, dass ich es
besser für mich behalte."
Nick starrte in seinen Kaffee, den er mit seinen Händen umschloss und
fragte: "Stört es dich, wenn ich dir eine Frage stelle? Also nur, wenn es
dir nichts ausmacht."
Felix lächelte ihn an und sagte: "Frag ruhig."
"Wie hast du gemerkt, dass du nicht mehr zu den anderen Schafen
gehörst?"
Felix atmete tief ein und sagte: "Wir kennen uns gut und ich vertraute
dir, weil du einer meiner besten Freunde bist. Trotzdem: Kann ich mir sicher
sein, dass alles, worüber wir reden, wirklich zwischen uns beiden
bleibt?"
Nick schaute ein wenig überrauscht, aber antwortete dann ohne zu Zögern: "Absolut. Daran brauchst du nicht den geringsten Zweifel haben."
Felix griff in seine Diensttasche, holte seine Bibel heraus, legte sie auf
den Tisch und schob sie zu Nick rüber. "Schaue dir mal Johannes 10:16 an
und sage mir, woraus hervorgeht, dass die anderen Schafe die irdische Hoffnung
haben."
Nick las, schaute wieder auf und sagte: "Es steht dort nicht."
Felix tippte auf die Bibel und sagte: "Lies das ganze Kapitel und sage
mir, wo hier etwas über die Gesalbten und eine Gruppe mit irdischer Hoffnung
steht. Nimm dir ruhig Zeit."
Nach einigen Minuten schaute Nick verblüfft auf und sagte: "Vielleicht
steht das einfach in einer anderen Bibelpassage."
Felix schüttelte den Kopf. "Vertraue mir ruhig - das ist die einzige
Stelle in der Bibel, wo von ‚anderen Schafen‘ die Rede ist."
Ungläubig fragte Nick: "Was ist dann mit der Offenbarung und der großen
Volksmenge anderer Schafe?"
"Dort lesen wir was über die ‚große Volksmenge‘, aber nicht über eine
‚große Volksmenge anderer Schafe‘. Dieser Begriff kommt nirgendwo in der Bibel
vor. Du liest ihn zwar in unseren Zeitschriften und das auffallend häufig, aber
nirgendwo in der Bibel. Du kannst es in der Watchtower Library checken, wenn du
zu Hause bist. Du wirst keine Stelle in der Bibel finden."
"Verstehe ich nicht", sagte Nick.
"Schau dir Vers 19 an. Mit wem spricht Jesus?"
"Nick schaute wieder in die Bibel und sagte: "Den Juden."
"Genau - als Jesus also sagte ‚Ich habe andere Schafe, die nicht aus
dieser Hürde sind‘ - was würden die Juden gemeint haben, wen er damit meint,
wenn er von ‚dieser Hürde‘ spricht?"
"Naja, wir beziehen es immer auf die Gesalbten." Nick schien langsam
zu erkennen, wie weitreichend das Thema war und was es eigentlich bedeutete.
"Ja, so haben wir es gelernt. Trotzdem gab es noch überhaupt keine
Gesalbten, als Jesus diese Worte sagte. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er auch
noch nichts über eine Gesalbtenklasse gesagt, auch nicht zu seinen engsten
Jüngern. Und die Juden, mit denen er sprach, hätten es nicht verstanden. Jesus
wurde zu den verlorenen Schafen Israels geschickt, das sagt die Bibel ja ganz
klar. Später würden auch noch andere Schafe hinzugefügt werden, die nicht aus
der Hürde Israels wären."
Mit dämmernder Einsicht sagte Nick: "Du meinst die Nichtjuden?
Aber..." Dann verstummte er, klar zwischen zwei widersprüchlichen Gedanken
gefangen.
"Ja - ergibt das nicht auch mehr Sinn, dass er über die Nichtjuden als
andere Schafe sprach, die später zu der bereits existierenden Hürde, den Juden,
hinzugefügt werden würden und eine Herde unter einem Hirten mit einer Hoffnung
werden würden? So betrachtet ist es auch in kompletter Harmonie mit anderen
Schriftstellen - besonders wenn man betrachtet, wie es in Apostelgeschichte
weiterging. Anders betrachtet wäre die Bibelstelle komplett aus dem Zusammenhang
gerissen."
"Aber du willst damit doch nicht sagen, dass wir alle in den Himmel
kommen?
Felix konnte sehen, dass sein Freund für ein solches Umdenken noch nicht
bereit war. Er hob seine Hand und sagte: "Ich sage nichts in der Art. Ob
wir in den Himmel kommen oder auf der Erde bleiben ist nicht unsere
Entscheidung. Allerdings haben wir das Nehmen von den Symbolen mit diesen
Hoffnungen verknüpft. Und trotzdem garantiert einem das Nehmen von den Symbolen
nichts dergleichen - bitte schau dir mal 1. Korinther 11:25, 26 an."
Nick las die Verse. Als er fertig war, sagte Felix: "Hast du bemerkt,
dass es dort heißt 'tut dies immer wieder, sooft ihr ihn trinkt, zur Erinnerung
an mich. Denn sooft ihr dieses Brot esst und diesen Becher trinkt, verkündigt
ihr immer wieder den Tod des Herrn, bis er gekommen ist.' Der Sinn wäre also
das Verkünden des Todes des Herrn, bis er kommen würde. Außerdem scheint das
nicht optional zu sein. Wenn Jesus Christus uns gebietet, etwas zu tun, wer
sind wir denn, zu sagen: 'Entschuldige Herr, aber dein Gebot trifft auf mich nicht
zu. Ich muss dir in dieser Sache nicht gehorchen.'"
Nick schüttelte den Kopf. Er rang mit diesen Gedanken in seinem Kopf.
"Aber das Gebot bezieht sich doch nur auf die Gesalbten."
Felix sagte: "So haben wir es gelernt - es gibt eine kleine Gruppe von
Gesalbten, an die diese Verse gerichtet wären. Außerdem sollte die viel größere
Gruppe Nicht-Gesalbter diesem Gebot nicht nachkommen. Aber hast du jemals
versucht, das jemand anhand der Bibel zu beweisen? Also ich meine wirklich in
die Bibel geschaut und nach Beweisen Ausschau gehalten, dass es eine riesige
Gruppe von Christen gäbe, bestehend aus Abermillionen Menschen, die vollständig
von diesem Gebot ausgenommen wären? Ich habe es wirklich versucht, aber ich
finde so einen Gedanken in der ganzen Bibel nicht."
Nick lehnte sich zurück und ließ sich das nochmal durch den Kopf gehen, während
er in seinem Teller rumstocherte. Er war so in Gedanken versunken, dass er die
Krümel gar nicht bemerkte, die auf sein Hemd und seine Krawatte fielen. Als er
zu Felix was sagen wollte, zeigte der nur mit dem Finger auf die Krümel. Nick
schaut leicht beschämt auf sich, als er die Sauerei sah.
Er streifte die Krümel weg und schien einen neuen Gedanken zu fassen.
"Aber was ist dann mit den 144.000? Wir können doch nicht alle in den
Himmel kommen", sagte er gefasst.
"Das ändert nichts. Ich spreche gerade davon, dem Gebot, von den
Symbolen zu nehmen, nachzukommen, nicht eine Fahrkarte in den Himmel zu
erwerben. Verstehst du? Außerdem - woher wollen wir wissen, dass die Zahl buchstäblich
zu verstehen ist? Wenn wir annehmen, dass sie es ist, dann müssen wir auch
annehmen, dass die 12 Gruppen von je 12.000 auch buchstäblich sind. Das
bedeutet, dass die Stämme, von denen de 12.000 genommen werden es ebenso sind.
Und trotzdem gab es nie einen Stamm Josef. Was ich damit sagen möchte: Wenn
Jesus einen Großteil der Christen vom Nehmen der Symbole hätte ausschließen
wollen, dann hätte er es wohl auch klar mitgeteilt. Jesus Christus ungehorsam
zu sein kann eine Leben-oder-Tod-Entscheidung sein. Er würde uns doch nicht in
eine Situation setzen, in der wir unsere Entscheidung aufgrund der
Interpretationen symbolischer Visionen, gemacht von unvollkommenen Menschen, treffen.
Das passt einfach nicht zu der Sorge, die er um uns hat, wie uns die Bibel
sagt. Oder?"
Nick dachte einige Sekunden nach. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee,
griff in Gedanken versunken mit der Gabel nach seinem Gebäck und stoppte die
Hand, als er merkte, dass ja nichts mehr auf dem Teller war. "Warte mal
eine Minute. Aber Römer sagt doch, dass der Geist bezeugt, dass jemand gesalbt
ist."
Felix griff zu seiner Bibel und öffnete sie. "Du beziehst dich auf
Römer 8:16." Nach dem Aufschlagen schob er sie wieder zu Nick tippte auf
den Vers und sagte: "Schau mal - der Vers sagt, dass der Geist bezeugt,
dass wir Gottes Kinder sind - nicht dass wir gesalbt sind. Betrachtest du dich
selbst als ein Kind Gottes, Nick?"
"Natürlich, aber eben nicht im gleichen Sinn wie es ein Gesalbter
tut."
Felix nickte zustimmend und fuhr fort: "Sagt denn dieser Vers etwas
über eine andere Art des Kindseins von Gott?"
"Was meinst du genau?"
"Naja, eigentlich müsste man doch erwarten, dass der Rest des Kapitels
im Kontext etwas Licht darauf wirft, dass es zwei Arten von Kindern Gottes und
zwei Hoffnungen gibt. Wir haben doch gerade etwas Zeit. Schau dir das doch
gleich mal an", sagte Felix, als er nun auch mal mit seinem noch
unberührten Gebäckstück anfing.
Nick wandte sich wieder der Bibel zu und fing zu lesen an. Als er damit
fertig war, schaute er auf und sagte nichts. Daher sagte Felix: "Nach
Paulus wäre also entweder jemand in Übereinstimmung mit dem Fleisch mit der
Aussicht auf Tod, oder in Übereinstimmung mit dem Geist mit der Aussicht auf
ewiges Leben. In Vers 14 heißt es, dass 'alle, die von Gottes Geist geleitet
werden [...] Söhne Gottes sind.' Du hast ja schon gesagt, dass du dich auch als
Kind Gottes ansiehst. Und das tust du meiner Meinung nach, weil dich der
Heilige Geist zu diesem Gedanken bringt. Gemäß Römer 8 wäre ja ohne dem Geist
alles, was du in Aussicht hast, der Tod."
Nick sagte nichts, also fügte Felix noch hinzu: "Ich möchte dich etwas
fragen: Glaubst du, dass Jesus dein Mittler ist?"
"Natürlich."
"Also glaubst du, dass du ein Kind Gottes bist und auch, dass Jesus
dein Mittler ist."
"Ja."
"Weißt du, dass du damit eine andere Ansicht vertrittst, als die, die
wir gemäß unseren Veröffentlichungen haben sollten?", fragte Felix.
Nun schaute Nick ein weiteres Mal an diesem Tag schockiert und sagte:
"Was gibst du denn da von dir?"
"Ernsthaft, Nick. Offiziell glauben wir, dass die Gesalbten Jesus als
ihren Mittler haben, aber er nicht der Mittler für die anderen Schafe ist.* [Quellen hierzu siehe Fußnoten unten] Vielleicht erinnerst du dich, dass
wir erst vor Kurzem einen Wachtturm-Artikel dazu hatten und in der
Februar-Studienausgabe im letzten Artikel geht es auch um das Thema. Wir lehren
offiziell, dass die anderen Schafe nur Gottes Freunde, nicht seine Kinder,
sind."
"Darf's noch etwas sein, die Herren?" Sie hatten gar nicht
bemerkt, dass die Bedienung vor dem Tisch stand.
"Geht auf mich", sagte Felix und gab der Bedienung einen Zehner.
"Stimmt so."
Nachdem sie weg war, sagte Felix: "Ich weiß, dass das viel zum Nachdenken
ist. Aber forsche doch mal nach. Schau dir an, was in der Bibel dazu steht.
Schau, ob du irgendetwas in den Christlich-Griechischen Schriften findest, das
von einer Gruppe von Christen spricht, die eine irdische Hoffnung hätte, nicht
in den Himmel kommt und noch wichtiger: Von Jesu Gebot, von den Symbolen zu
nehmen, ausgenommen wäre.“
Die zwei Freunde standen auf, packten ihre Sachen ein und gingen zur Tür.
Als sie zum Auto gingen, legte Felix seine Hand auf die Schulter seines Freunde
und sagte: "Der Grund, warum ich von den Symbolen nahm - der Grund, den
ich den Ältesten in der Besprechung nicht sagte - war, dass ich glaube, dass
ich dem Gebot Jesu Christi nachkommen muss. Das ist alles. Schlicht und
ergreifend. Keine übernatürliche Offenbarung von Gott in der Nacht, in der er
mich in den Himmel gerufen hätte. Ich habe mir lediglich eingestanden, dass in der Bibel
ein Gebot für alle Christen überliefert wurde; eines, das uns keine Wahl lässt,
ob wir ihm nachkommen wollen. Denke darüber gebetsvoll nach. Wenn du reden
willst kannst du dich jederzeit bei mir melden. Aber bitte sprich mit niemand
anders darüber, denn es wäre für viele Brüder und Schwestern sehr schwer zu
verstehen. Und für uns beide hätte das wohl kein gutes Ende."
Nick stimmte zu: "Ja, da hast du Recht, das ist ein 'heißes
Eisen'."
Felix Herz war in ziemlichem Aufruhr. Hatte er gerade einen Freund verloren
oder einen noch besseren gewonnen? Nur die Zeit würde es zeigen können. Klar
war auch, dass es einige Zeit dauern würde, bis Nick darüber nachgedacht haben
wird.
Wie schon so oft dachte sich Felix auch diesmal, dass es schon eigenartig
ist, dass all dies innerhalb der christlichen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas
passiert.
Dieser Artikel ist unsere Übersetzung des
Artikels "A New Partaker" unserer Brüder und Freunde von Beroean Pickets.
FUSSNOTEN
*siehe hierzu "Index der Wachtturm Publikationen 1986-2013",
Stichwort "Mittler": "nur für die Gesalbten: it-2 370; w89 15. 8. 30-31", vgl. hierzu auch w08 15. 12. 13-15
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