Tiefergehende Betrachtung Jehovas Zeugen

Tiefergehende Betrachtung schwerwiegender biblischer Themen und ihrer Praxis bei Jehovas Zeugen

Wer einen genaueren Blick auf Jehovas Zeugen wirft, kommt irgendwann an den Punkt, an dem ihn die Grundlagen interessieren. Warum sehen Jehovas Zeugen dies oder jenes als biblisch an? Und ist es das tatsächlich? Die Argumentationen wurden in den Schriften der Zeugen Jehovas in den letzten Jahre immer dünner. Es wird häufig auf dem Niveau "es ist glasklar, dass dies oder jenes biblisch ist" geschrieben, ohne es ernstzunehmend anhand der Bibel zu begründen.

Daher gibt es diese Seite, auf der wir einige der Gesetze und Lehren der Zeugen Jehovas sehr genau anhand der biblischen Grundlage betrachten.



Inhaltsverzeichnis


I.  Ausschluss, Gemeinschaftsentzug, Exkommunikation

II. Die Leitende Körperschaft - eine biblische Vorkehrung?
III. Thema Sex und Ehe
IV.  Der Zustand der Toten

I. Ausschluss, Gemeinschaftsentzug, Exkommunikation - die Darstellung der Praxis, die Praxis in der Realität und das biblische Fundament


Wie verhalten sich Jehovas Zeugen gegenüber ehemaligen Zeugen Jehovas und wie sieht die biblische Grundlage für diese Praxis aus, wenn man sie aufrichtig und unbedarft betrachtet?

Bevor eine Betrachtung der biblischen Grundlage erfolgt, werde ich auf die aktuelle Kommunikation des Standpunktes eingehen

Auf der offiziellen Website, jw,org, liest man unter "Oft gefragt" > "Brechen Sie den Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern Ihrer Gemeinde ab?", nachdem zunächst auf inaktive Zeugen Jehovas eingegangen wird:

"Wer einen schweren Fehler begeht, wird nicht automatisch exkommuniziert oder ausgeschlossen. Setzt sich jemand aus unseren Reihen jedoch immer wieder über die Normen der Bibel hinweg und zeigt keinerlei Reue, muss er ausgeschlossen werden und der Kontakt wird abgebrochen. Die Bibel sagt klar und deutlich: „Schließt also den, der Böses tut, aus eurer Gemeinschaft aus!“ (1. Korinther 5:13, Neue Genfer Übersetzung).

Wie sieht es aus, wenn jemand ausgeschlossen wird, seine Frau und seine Kinder aber nach wie vor Zeugen Jehovas sind? Das Band, das ihn im Dienst für Gott mit seiner Familie verbunden hat, ist zwar nicht mehr dasselbe. Doch er gehört weiter zur Familie. Die Bindung aneinander bleibt bestehen; das Eheleben und der normale Familienalltag gehen weiter."

Ich kann nicht beurteilen, warum die Lage hier derart beschönigt dargestellt wird, doch trifft diese Aussage nicht etwa wie sie vermuten lässt auf alle engsten Familienmitglieder zu, sondern nur, wenn diese noch unter einem Dach wohnen. Sobald jemand einen eigenen Hausstand hat, sollte der Kontakt aufs nötigste beschränkt werden und auch keine Vorwände zum Kontakthalten gesucht werden (so z.B. zu lesen im Anhang des Buches "Bewahrt euch in Gottes Liebe", was für einen Zeugen Jehovas eine ernstzunehmende Richtschnur darstellt, die er sich i.d.R. verpflichtet fühlt einzuhalten und auch immer wieder in Gottesdiensten dazu ermutigt wird, dies so zu tun). Interessanterweise steht im gleichen Buch ("Bewahrt euch in Gottes Liebe"), dass zum Wahrheit-sagen auch gehört, keine Teile wegzulassen, die etwas in ein eigentlich falsches Licht rücken. Ich bin nicht der Richter über diejenigen, die für diese niedergeschriebenen Worte auf der Website jw.org verantwortlich sind, doch wird doch ebendies dadurch gemacht. Es wird der Anschein erweckt, dass sich durch einen Ausschluss in der Familie nichts ändert, in Wirklichkeit aber brechen Eltern den Kontakt zu ihren erwachsenen Kindern ab und umgekehrt. Besonders tragisch erscheint dies in den Fällen, in denen kein zum Ausschluss führender Umstand vorlag, der eine biblische Notwendigkeit gehabt hätte bzw. nur aus einer sehr interpretativen Sicht einen zwangsläufigen Problempunkt darstellt (hierzu ein Beispiel: Jemand sagt offen, dass das Feiern von Geburtstagen dem privaten Ermessen von jedem persönlich überlassen sein sollte und er hin und wieder bei jemand vorbeischaut, der ihn einlädt, auch wenn er nicht direkt mitfeiert. Dafür kann bzw. wird er ausgeschlossen werden).

Einige Sätze weiter heißt es:

"Wer inakzeptables Verhalten aufgibt und deutlich signalisiert, dass er wirklich wieder nach den Normen der Bibel leben möchte, dem steht die Tür immer offen."

Was heißt deutlich signalisieren? Der Leser meint vermutlich, dass jemand sein Leben ändert, betet, der Ältestenschaft bescheid gibt, diese seine Aufrichtigkeit erkennt und dann wieder aufgenommen wird. In der Realität ist damit verbunden, dass dieser möglichst alle Zusammenkünfte über einen langen Zeitraum (ca. 6-12 Monate) besuchen muss. Sieht einer dies nicht als Notwendigkeit, weil er z.B. mehr Zeit für sein persönliches Studium investieren möchte und daher nur alle 1 bis 2 Wochen die Zusammenkünfte besucht, wird dieser nicht wiederaufgenommen werden, da ihm das so ausgelegt werden wird, als würde er keine echte Reue bekunden.
An dieser Darstellung zeigt sich bereits, dass das Thema durchaus kontrovers ist. Was ist jedoch zur biblischen Grundlage zu sagen?

Johannes bezieht das Verbot, einen Gruß zu entrichten, auf einen Abtrünnigen, der offen Jesus Christus verleugnet (2. Johannes 10, 11). Solch ein Mensch, soll nicht einmal mehr gegrüßt werden. Diese Mahnung auf jeglichen Ausschluss von der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas zu beziehen, der in aller Regel nicht mit der Verleugnung Jesu einhergeht, kann daher als fragwürdig angesehen werden. Zumindest erscheint es völlig unverständlich und nicht biblisch fundiert.

An anderer Stelle mahnt Paulus, keinen Umgang mehr mit jemand zu haben, der "Bruder genannt wird", und dennoch ein Hurer, Ehebrecher oder Götzendiener ist (1. Kor. 5:11). Der erste Hinweis ist hier schon zu entnehmen, da nicht gesagt wird, derjenige solle dann nicht mehr Bruder genannt werden. Dasselbe begegnet uns bei der Abhandlung Pauli über die Bezeichnung. Auch dieser wird weiterhin Bruder genannt, auch wenn ihm der Umgang entzogen wird.

Zum anderen stellt sich die Frage, was mit dem Umgang gemeint ist. Dies kann gemäß Bibelkommentatoren auf verschiedene Weisen interpretiert werden. Die gängigste Interpretation ist, dass sich der Umgang auf das gottesdienstliche Leben bezieht, auf die Gemeinschaft mit den Glaubensbrüdern. Der Hinweis, auch nicht mit einem solchen zu essen, was nach Zusammenkünften offensichtlich sehr üblich war und damit quasi einer gottesdienstlichen Aktivität gleichkommt, würde sich hier nahtlos einfügen. (Einige Kommentatoren beziehen dies auf das Essen des Abendmahles des Herrn, das regelmäßig stattgefunden hätte und interpretieren jene Mahnung darauf, solche Menschen nicht mehr am Gedächtnismahl teilhaben zu lassen.)
An dieser Stelle müssen jedoch zwei Punkte mitbetrachtet werden: 1. Um was für ein Vergehen handelt es sich? 2. Von wem geht die Initiative des Kontaktabbruchs aus?

Paulus schreibt, der böse Mensch solle aus der eigenen Mitte entfernt werden (1. Kor. 5:12, 13). Dies impliziert keinen einmaligen Sündenfall, sondern bösartiges, dauerhaftes, "schwerwiegendes" Sündigen, das für mehrere Menschen so klar ersichtlich ist, dass es einen Christen einfach beschämt. Vergessen wir nicht, dass Paulus einen Fall von Blutschande als Anlass nimmt, diese Mahnung überhaupt zu schreiben.
Dieser soll aus der Mitte entfernt werden, indem man ihm den gottesdienstlichen Umgang, womöglich sogar gänzlich den privaten, versagt. Und dennoch trifft das Grußverbot Johanni nur dann zu, wenn dieser ein Abtrünniger ist, der das Evangelium verleugnet. Von einer individuellen Entscheidung, die unkonform, wenngleich nicht unbiblisch, zur aktuellen Lehrmeinung läuft, ist hier keine Spur.
Wie soll der Kontaktentzug gemäß der Bibel erfolgen? Soll ein Gremium von Versammlungsältesten darüber beratschlagen, den "Sünder" verhören und die Versammlung (oder besser gesagt alle Versammlungen) haben sich dann an das Urteil zu halten? Auch dies geht aus den Worten des Paulus und Johannes nicht hervor. In jedem Fall ist dies eine Mahnung an jeden einzelnen Christen, dass er Konsequenzen aus dem unchristlichen Verhalten von Brüdern ziehen soll, um Stellung zu Gottes Grundsätzen zu beziehen. Verbindliche richterliche Entscheidungen können daraus nicht zwingend abgeleitet werden.

Dies sind nüchtern betrachtet die biblischen Grundlagen für den "Gemeinschaftsentzug" bzw. einige weiterführende Aspekte, die sich bei einer Untersuchung des Themas anhand der Bibel auftun.

Wird Jesus einst klarstellen, dass bei dem Thema zu weit, über die biblische Grundlage hinaus gegangen wurde? Oder wird er wohlwollend darauf blicken, dass mit so großer Konsequenz versucht wurde, biblische Grundsätze einzuhalten? Eine Frage, die ich mir nicht anmaßen werde, zu beantworten. Ich bete darum, dass, so Gott will, er einem Licht in diesen Angelegenheiten durch sein Wort die Bibel schenken möge, auf dass man sie richtig verstehe und nicht, wie man sie gern verstehen würde.



II. Die Leitende Körperschaft - eine biblische Vorkehrung?


Das Führungsgremium der Zeugen Jehovas, Leitende Körperschaft genannt, bestehend aus derzeit 7 Männern in Brooklyn, sieht sich selbst als biblische Vorkehrung. Als Begründung wird sich auf eine einzige Bibelpassage gestützt: Apostelgeschichte 15. (Der Begriff „Leitende Körperschaft“ kommt in der Bibel nicht vor.)

Als unter den ersten Christen eine große Debatte ausbrach, ob sich Christen wie Juden nach wie vor beschneiden lassen sollten, trafen sich die Apostel und einige Älteste in Jerusalem, um sich dieser Frage zu stellen. Anschließend schickten sie Briefe in alle Christengemeinden, in denen stand, dass „der Heilige Geist und wir selbst“ es für nicht mehr notwendig erachteten, sich noch beschneiden zu lassen – nur von „Götzen geopfertem Speisefleisch, unausgeblutetem Speisefleisch und Verzehr von Blut an sich, zudem von unerlaubten sexuellen Beziehungen“ sollte sich gewissenhaft enthalten werden (Apg. 15:29).

Bevor wir näher auf die aufgezählten Punkte eingehen, hier ein Blick auf die Reichweite dieses Verses:

Geht aus Apg. 15 hervor, dass ein Gremium von Männern jegliche Lehrfragen verbindlich festlegen soll? 
Nein, es geht deutlich hervor, dass es sich um eine einmalige und endgültige Klärung einer Frage handelt - nicht um einen von vielen Beschlüssen. Die Beschneidung sollte nicht mehr praktiziert werden, wohl aber der Verzicht auf Blut und unerlaubte sexuelle Beziehungen.

Ist dies nicht eine Art „Leitende Körperschaft“ in Apostelgeschichte 15?
Es ist keine weitere derartige Zusammenkunft bekannt und es gibt keine Aufforderung in der Bibel, einen zentralen Rat für die Christengemeinde zu unterhalten. Durch die besondere Tatsache, dass alle bzw. zumindest noch viele Apostel des Herrn Jesus (die er persönlich ernannte) am Leben waren, eigneten sich diese Männer zur Klärung dieser theologischen Debatte in einzigartiger Weise.

War es nicht klar, dass dann auch die Nachfolger der Apostel ebenfalls theologische Fragen klären und die Antworten darauf festlegen sollten?
Die Bibel berichtet nicht davon, dass weitere Apostel außer Matthias (als Ersatz für Judas Iskariot) und Paulus (als „Apostel für die Nichtjuden“) ernannt wurden. Eine Anweisung, ob und wie Nachfolger gewählt werden sollten gibt es nicht. Daher gehen die meisten Bibelgelehrten davon aus, dass mit dem Tod des letzten von Jesus ernannten Apostels, nämlich Johannes, keine neuen Nachfolgeapostel gewählt wurden.

Wer schrieb denn dann vor, wie die einzelnen Versammlungen organisiert und ablaufen sollten?
Diejenigen, die die Versammlungen gründeten und ihnen als Älteste vorstanden. Verbindliche Regeln gab es nicht. Wie aus den paulinischen Briefen hervorgeht, war Paulus offensichtlich der Einzige, der zu gewissen, in seinen Augen offensichtlichen Regelungen animierte und ermahnte.

Die Apostel beschlossen also in Jerusalem, wie die Themen Beschneidung, Götzen geopfertes Fleisch, Blut und sexuelle Unmoral anzusehen seien ohne Regeln im Detail zu definieren. Da es einfache Richtlinien waren, war das auch nicht nötig. Zum Thema sexuelle Unmoral gab es auch keine Erörterung. Aufgrund des verwendeten griechischen Wortes ist davon auszugehen, dass damit mindestens Folgendes gemeint war: Prostitution, Päderastie, Vergewaltigung, Sodomie, Inzest, Ehebruch, Polygamie, Promiskuität, uneheliche Kinder.

Doch nun wird es spannend: Denn Paulus relativiert einige Jahre später diese verbindlich gewesenen Richtlinien. In 1. Korinther 8 finden wir eine Abhandlung darüber, dass der reife Christ problemlos Götzen geopfertes Fleisch essen könnte, da die Götzen ja keine echten Götter seien und das Fleisch daher quasi nichts dafür könne, für ein Ritual missbraucht worden zu sein. Aber da viele Christen nicht diese fortgeschrittene Erkenntnis hätten und das Fleisch immer noch als mit dem Götzendienst verbunden ansähen, sollte man auf das Essen von diesem Fleisch verzichten, falls jemand daran anstoß nehmen könnte. Bevor es einen glaubensschwachen Mitgläubigen noch zu Fall brächte, solle man lieber auf de Verzehr des Götzenfleisches verzichten. Paulus weicht hier also etwas auf, was von den Aposteln in Jerusalem verbindlich festgelegt wurde. Wir wissen nichts von einer vorherigen Entscheidung einer imaginären Leitenden Körperschaft, die dies so beschlossen hätte. Es ist offensichtlich eine theologische, logische Ansicht des Paulus. Dadurch hielt er nicht an der Festlegung der Apostel fest und hielt vor dem Versenden seines Briefes an die Korinther wohl keine Rücksprache mit ihnen.
Erstaunlich, nicht wahr? Gab es also gar keine „Leitende Körperschaft“, die in Lehrfragen Festlegungen machte? Nach allem, was wir in der Bibel lesen können, scheint es so zu sein.

Und so kommt es, dass die Speisevorschriften in Apostelgeschichte 15 von vielen Bibelgelehrten als temporäre Vorgaben angesehen werden, um die Gemeinschaft von zu Christen gewordenen Juden und Nichtjuden keine Steine in den Weg zu legen. Für einen Juden war es schließlich aufgrund des mosaischen Gesetzes selbstverständlich, Blut als heilig und unter keinen Umständen als verzehrbar anzusehen. Daher sind Jehovas Zeugen eine der wenigen christlichen Gemeinschaften, die Blutverzehr als nach wie vor frevelhaft ansehen, während sich sowohl die großen Kirchen als auch viele kleinere Glaubensgemeinschaften nicht gegen Speisen wie Blutwurst und auch nicht gegen Bluttransfusionen aussprechen. Sie tun es nicht aus Mangel an biblischem Wissen, sondern aus der Schlussfolgerung, dass Apostelgeschichte 15 für den heutigen Christen nicht mehr bindend seien. Während die Mahnung bzgl. sexueller Unmoral auch vom Herrn Jesus gemacht wurde, ist dies von Blut und Götzen geopfertem Fleisch nicht zu sagen.



Dem gemeinen Zeugen Jehovas sträuben sich bei diesen Gedanken die Haare. Die Halsschlagader fängt stark zu pochen an. Und dennoch ist es nur das, was aus der Bibel zu dem Thema hervorgeht. 
Es geht hier nicht darum, Jehovas Zeugen schlecht zu reden, sondern darum, was die Bibel wirklich bzw. offensichtlich lehrt.



III. Thema Sex und Ehe


Die allgemeine Ansicht über das Thema ist: Die Bibel sagt, du darfst keinen Sex vor der Ehe haben und im Alten Testament steht sogar, jemand, der es dennoch tut, müsse gesteinigt werden.

Die Wahrheit sieht anders aus. Fangen wir mit dem Alten Testament an. Im Gesetz Mose gibt es in der Tat detaillierte Aussagen dazu, die anders beschaffen sind, als es der „normale“ Christ wohl weiß. Dies kann man sich wohl nur durch ein vernachlässigtes oder völlig unaufmerksames Bibellesen erklären, denn eigentlich müsste jeder darauf stoßen, der die Bücher Mose liest. Fakt ist aber, dass es die wenigsten Christen wissen. Der Erfahrung des Autors nach, weiß kaum ein Zeuge Jehovas davon, wenngleich es in der Neuen-Welt-Übersetzung recht klar übersetzt wurde und auch in den "Einsichten-Büchern" steht.
Was passiert gemäß dem Alten Testament mit einem unverheirateten Mann, der mit einer unverheirateten Frau schläft?

Die Standardantwort wäre wohl: Er wird gesteinigt.

Doch falsch geraten: Er muss diese Frau heiraten, ohne eine weitere Auflage als die zu bekommen, dass er sich von ihr nicht mehr scheiden lassen darf (nachzulesen in 2. Mose 22 und 5. Mose 22). Ja, wenn er dies tat oder es für wert erachtete, sich dieser Bestimmung zu verpflichten, konnte er Sex vor der Ehe haben, obgleich dies nicht der Normalfall zu sein schien. Dennoch wurde es auf diese Art und Weise gesetzlich geregelt. Bekam es niemand mit, musste theoretisch auch nicht geheiratet werden, was aber die Problematik des nächsten Abschnitts mit sich brachte. Wurde geheiratet und geschah alles vorher einvernehmlich entfällt dies.

Wenn ein Mann in der Hochzeitsnacht „feststellte“, dass seine Frau keine Jungfrau mehr war, hatte er zwei Möglichkeiten: 1. Er konnte die Todesstrafe für seine Frau einfordern, da sie sich, als sie noch im Hause ihres Vaters wohnte, wie eine Prostituierte verhielt und er wider Erwarten vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. 2. (implizit) Er konnte dies als Tatsache hinnehmen und sie wie eine normale Ehefrau behandeln, ohne sie jemals an den Pranger zu stellen. Dieser 2. Punkt macht ein Vorwissen möglich.

Und an dieser Stelle ein Sprung in die heutige Zeit: Damals war es in der Tat „riskant“, unehelich Geschlechtsverkehr zu haben, da immer mit einer Schwangerschaft mangels Verhütungsmittel gerechnet werden musste. Und dennoch finden wir ein relativ freizügiges Gesetz im Gesetz Mose, das eben keine Steinigung für vorehelichen Geschlechtsverkehr unter Unverheirateten veranschlagt. Heute entfällt bei bewusstem Handeln dieses Risiko. Entgegen dem Gesetz Mose wird heute jeder Zeuge Jehovas ausgeschlossen, der als Unverheirateter vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, auch wenn das Paar kurz vor der Ehe steht. Wie dies zu bewerten ist, bleibt dem Leser selbst überlassen und es wird im Folgenden noch einmal auf Ansatzpunkte hierzu eingegangen.

Zurück zum Gesetz Mose: Steinigung gab es auf der anderen Seite auch. Für Ehebrecher. Es war völlig illegitim, einen Menschen, mit dem man verheiratetet war, auf sexueller Ebene zu betrügen.

Wie sieht es mit dem Neuen Testament aus? Wurde das Thema hier anders spezifiziert?

Erstaunlicherweise: Nein. Wir lesen von (um die deutschen Äquivalente zu verwenden) Hurerei und Ehebruch, ohne genaue Definition. Allerdings scheint sich eine implizite Definition in 1.Kor. 6 zu finden: "15 Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder des Christus sind? Soll ich nun die Glieder des Christus nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne! 16 Oder wisst ihr nicht, dass, wer einer Hure anhängt, ein Leib mit ihr ist? »Denn es werden«, heißt es, »die zwei ein Fleisch sein.«
17 Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm" (SLA2000).

Somit macht der Geschlechtsverkehr aus zwei Menschen "einen Leib", selbst wenn der Sexpartner ein(e) Prosituierte(r) ist. Dies spräche somit für die Definition, dass wir in der Tat nur mit unserem Ehepartner, mit dem wir durch Heirat und Intimität "ein Leib" wurden und nicht mit unterschiedlichen Partnern intim sein sollten und an die Person gebunden sind, mit der wir schlafen. Dies spricht für die "traditionelle" bzw. "konservative" christliche Ansicht, wenngleich die Bibel einen inneren, freudigen Wunsch für die Abkehr von unbiblischen Praktiken skizziert und keinen aufgrund von äußerem Zwang.

Es ist nur menschlich, dass ein Zeuge Jehovas Interpretationen auf gleiche Ebene mit dem Bibelwort selbst stellt, um etablierte Lehren, Ansichten und Dogmen als fundiert ansehen zu können. Doch dies ändert nichts daran, was eigentlich geschrieben steht.

Wir stellen bis hierhin fest: Ein "Jungfräulichkeitskult", wie ihn Jehovas Zeugen praktizieren, findet sich in der Bibel nicht. Das Alte und Neue Testament scheinen sogar eine "lockerere" Sprache zu sprechen, als es die bei Jehovas Zeugen etablierten Regeln tun. Wir finden die Betonung der Wichtigkeit des Themas in der Bibel, aber keine Überbetonung.
Und dann gibt es noch Aspekte, die wir überhaupt nicht in der Bibel finden, aber von Jehovas Zeugen praktiziert werden. Zwar sollen Ehen auch mit Ungläubigen bestehen bleiben. Wenn jedoch der ungläubige Partner nicht mehr mit dem gläubigen zusammen sein möchte, so darf man sich scheiden lassen. Dies wird von Jehovas Zeugen geleugnet, da sie auch in diesem Fall ein Scheidungsverbot erlegen, ebenso in Extremfällen, bspw. häuslicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch, darf sich ein(e) Zeuge(in) Jehovas nur trennen, nicht aber scheiden lassen. Dies steht in krassem Widerspruch zu 1.Kor. 7:10-15.  Das in Vers 15 verwendete Wort bedeutet "scheiden" und nicht wie von der Neuen-Welt-Übersetzung übersetzt "weggehen" im Sinne von Trennung ohne Scheidung.

Als Schlussgedanke zu diesem Thema sei bemerkt, dass wir in der Bibel sehr wohl angehalten sind, die Sexualmoral, die Gott uns lehrt, einzuhalten und dass ein Christ darum bemüht ist bzw. sein sollte. Die Vermanschung mit der Ausschlusspraxis für viele Verfehlungen ist jedoch mehr als unbiblisch. Paulus schreibt vom Ausschluss von jemand, der eine Beziehung mit seiner Stiefmutter hatte. Er schreibt nicht, dass diesem ein Gruß oder jegliche freundliche Nachfrage nach seinem Wohlergehen verweigert werden sollte (!). Dies sind Dinge, die in einem anderen Zusammenhang in Verbindung mit dem "Antichrist", der Jesus Christus im Fleische gekommen leugnet, geboten werden (2. Johannes 10). Ebenso bezieht sich diese Art von Distanzierung nicht auf eigene Kinder oder Eltern, die meinen, plötzlich so handeln zu müssen. Leider herrschten bereits unter den ersten Christen diverse Ausschweifungen, die gerügt wurden, aber eine derart diktatorische Handhabung im Umgang mit eigenen Angehörigen oder Freunden, die sich für unbiblisches Verhalten entschieden haben, finden wir nicht. Mit jemand bewusst die Freizeit nicht mehr zu verbringen, weil man seinen Lebenswandel nicht in Ordnung findet, und ihn, wenn angebracht, aus der Gemeinde auszuschließen, ist eine biblische Anweisung für einen in Hurerei verfallenen geistigen Bruder (oder Schwester), jedoch wäre es völlig unbiblisch, auf ihn die Anweisung für den Umgang mit dem Antichristen zu beziehen. Hier kann man nur mit dem Kopf schütteln, dass dies bei Jehovas Zeugen so gelehrt wird. Man kann nur hoffen, dass der Gott suchende Zeuge Jehovas dies gebetsvoll anhand der Bibel prüft. Meiner Meinung nach kann man kaum klarer gegen die Bibel verdrehen, wie es die Organisation in diesem Zusammenhang tut.

IV. Der Zustand der Toten

Eine ausführliche Abhandlung, die ausgiebig auf die Theologie der Zeugen Jehovas Bezug nimmt, wurde auf dieser Website hier veröffentlicht.

Letztes Update dieser Seite: 25/01/2019

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