Donnerstag, 25. Juni 2015

Wann brechen Jehovas Zeugen den Kontakt zu ihren Kindern ab?

Ich bin kein Freund von Hasstiraden gegen Jehovas Zeugen.

Man muss sie zwar nicht in höchsten Tönen loben, aber verachten und bekämpfen muss man sie nicht.

Ich weiß, dass die meisten Zeugen Jehovas einfach nur versuchen, Jehova zu gefallen. Gute Menschen zu sein. Ewig leben möchten.

Und trotzdem muss man leider sagen, dass es keine menschenfreundliche Religion ist.

Wer kein Zeuge Jehovas ist, wird als ein der Vernichtung entgegengehender Mensch betrachtet, der in seiner Arroganz hednoistisch leben und Jehova nicht dienen möchte.
Wer ein ehemaliger Zeuge Jehovas ist, wird wie bereits vernichtet angesehen: Er wird nicht gegrüßt, mit ihm wird nicht gesprochen. Wenn noch "Hoffnung" besteht, wird er einmal im Jahr von den Ältesten (Geistlichen) kontaktiert und ermuntert, die nötigen Schritte zu unternehmen, dass sein Ausschluss aufgehoben wird. Dies würde für ihn bedeuten, sich dem Kodex der Zeugen Jehovas wieder komplett zu unterwerfen und die Gottesdienste regelmäßig zu besuchen.
Und dann gibt es noch eine Zwischenform: "Bezeichnete" - diese wurden nie ausgeschlossen, weil man nicht genug gegen sie in der Hand hat, aber es wird gemahnt, sie außerhalb des Königreichssaales zu meiden - also den Kontakt abzubrechen, sofern sie nicht mehr in die Gottesdienste gehen.

Überspitzt gesagt, könnte man sagen, dass der Mensch nichts, aber der offizielle Status alles bei den Zeugen Jehovas bedeutet.

Oft wird von Jehovas Zeugen argumentiert (die es insgeheim oft viel lockerer sehen): Ja, das sah man früher so hart, letztlich ist es doch eine persönliche Sache, wie man das handhabt.

Auf dem diesjährigen regionalen Kongress 2015 wurde an einem Kongressort ein Interview gezeigt, das mich sehr betroffen macht:



Die Eltern erzählen, dass sich eines ihrer Kind durch "fragwürdigen Umgang mit Arbeitskollegen" etwas machte, was zu seinem Ausschluss führte. Der Grund wird nicht genannt, aber es könnte Rauchen oder eine intime Beziehung mit einer Andersgäubigen ("Weltlichen") gewesen sein.
Nun erzählen die Eltern, wie schwer das für sie war.
Ihr Kind kam schließlich wieder zurück und wurde wieder ein Zeuge Jehovas.
"Was hat ihn denn dazu bewogen?", fragt der Interviewer.
"Es war die Sehnsucht nach der Familie", antwortet die Mutter. "Ich sagte jedem meiner Kindern immer: Ich liebe dich und würde sogar für dich sterben, aber wenn du Jehova verlässt, kann ich nicht mehr für dich da sein. Und sie wussten, dass wir in dieser Einstellung keine Kompromisse machen würden. So traurig es klingt und so hart es für uns auch war - wir haben jeglichen Kontakt [nach dem Ausschluss] zu ihm eingestellt."

Jehovas Zeugen empfinden es als den immergleichen Vorwurf: Ihr seid ja so grausam zu euren Kindern. "Nein, das stimmt nicht, wir lieben unsere Kinder wie Sie auch!", ist die Antwort. Auch auf der eigenen Website tut man so, als würde man nur unter seltenen Umständen den Kontakt zu jemand abbrechen. Es heißt offiziell: "Wie sieht es aus, wenn jemand ausgeschlossen wird, seine Frau und seine Kinder aber nach wie vor Zeugen Jehovas sind? Das Band, das ihn im Dienst für Gott mit seiner Familie verbunden hat, ist zwar nicht mehr dasselbe. Doch er gehört weiter zur Familie. Die Bindung aneinander bleibt bestehen; das Eheleben und der normale Familienalltag gehen weiter." Das Interview oben spricht eine andere Sprache. Sehr clever wurde in dieser offiziellen Stellungnahme gar nicht auf die Frage geantwortet, sondern ein abstruses Beispiel konstruiert, in dem das Familienleben weitergehen würde (Voraussetzung: eine bestehende Ehe oder ein noch zu Hause wohnendes Kind - ist beides nicht gegeben, ist restloser Kontaktabbruch angesagt).

Ich weiß nun nicht, ob du, verehrter Leser, Kinder hast.
Aber stelle dir Folgendes vor:

Du bist ein Zeuge Jehovas und dein erwachsenes Kind auch.
Irgendwann entscheidet es sich für eine der folgenden Sachen:
  • eine andere Religion besser finden und sich ihr anschließen
  • Interpretationen von Jehovas Zeugen offen widersprechen
  • Rauchen
  • Drogenkonsum
  • über den Durst trinken
  • Geburtstagsfeiern besuchen
  • sich scheiden lassen, obwohl der Ehepartner nicht fremd gegangen ist 
  • bei einer Person des anderen Geschlechts übernachten, auch wenn man in einem anderen Zimmer schlief
  • eine intime Beziehung mit einem Andersgläubigen anfangen
  • vor der Ehe intim sein
  • uvm.*

Wird er oder sie nicht "unter Tränen" vor den Ältesten bereuen und sich den Auflagen unterwerfen, dann wird er ausgeschlossen (die Auflage kann z.B. Kontaktabbruch zu den/der andersgläubigen Personen sein, die mit dem "Fehlverhalten" zu tun hatten).

Die "Light-Variante" des Ausschlusses ist die "Bezeichnung". Sie ist eher selten, aber wird doch immer wieder praktiziert. Ich schätze, dass jede 2. Versammlung innerhalb von 2 Jahren eine Bezeichnung ausspricht. Dies bedeutet für den Betroffenen, dass der Kontakt außerhalb der Gottesdienste abgebrochen wird. Im Gegensatz zum Ausschluss, wird diese Person jedoch noch gegrüßt und auch Smalltalk darf noch gehalten werden. Nur enger Kontakt soll vermieden werden. Dennoch wird eine solche Person alle Freunde innerhalb der Versammlung zwangsläufig verlieren. Hier einige Gründe, für die eine Bezeichnung ausgesprochen werden kann:
  • häufigster Grund: eine Beziehung zu einem nicht-Zeugen Jehovas führen
  • die Freizeit häufig mit Andersgläubigen verbringen
  • als Mann lange Haare haben
  • als Frau häufig "aufreizende" Kleidung tragen (darunter verstehen die meisten Zeugen Jehovas schon Röcke, die über das Knie gehen
  • mit anderen unabhängig von der Organisation biblische Themen betrachten
  • in einer gemischten WG wohnen
  • uvm.

Ich weiß nicht, wie es dir als Leser geht - aber ich würde niemals den Kontakt zu meinen Kindern für einen der oben genannten Gründe abbrechen. Dies bringt mich in einen Konflikt zu meiner Religion (die ich nicht mehr aktiv verfolge). Niemals würde ich nicht mehr für meine Kinder da sein, nur weil sie etwas anderes glauben wollen oder anders leben wollen.

Wird Jesus Christus eines Tages zu der Leitenden Körperschaft, den Kreisaufsehern, den Ältesten und den einzelnen Zeugen Jehovas sagen: "Mensch, das war wirklich vorbildlich, sogar zu euren Kindern den Kontakt abzubrechen, wenn sie etwas taten, das ich noch nicht einmal verboten habe."?

Das Interview oben zeigt die wirkliche Realität.



Weiterführender Artikel mit Bezugnahme auf die Bibelpassagen, die als Grundlage für den Kontaktabbruch herangezogen werden: Tiefergehende Betrachtung von Jehovas Zeugen



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Fußnoten:

* Hier wurden bewusst die Grunde angeführt, die schon fast wie Lapalien anmuten. Natürlich wird auch für vom christlichen Standpunkt verständliche Gründe ausgeschlossen wie z.B. Bordellbesuche, Helerei, Diebstahl, Gewaltverbrechen etc.

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