Montag, 1. Juni 2015

Die Leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas - eine biblische Vorkehrung?


Das Führungsgremium der Zeugen Jehovas, Leitende Körperschaft genannt, bestehend aus derzeit 7 Männern in Brooklyn, sieht sich selbst als biblische Vorkehrung. Als Begründung wird sich auf eine einzige Bibelpassage gestützt: Apostelgeschichte 15. (Der Begriff „Leitende Körperschaft“ kommt in der Bibel nicht vor.)

Als unter den ersten Christen eine große Debatte ausbrach, ob sich Christen wie Juden nach wie vor beschneiden lassen sollten, trafen sich die Apostel und einige Älteste in Jerusalem, um sich dieser Frage zu stellen. Anschließend schickten sie Briefe in alle Christengemeinden, in denen stand, dass „der Heilige Geist und wir selbst“ es für nicht mehr notwendig erachteten, sich noch beschneiden zu lassen – nur von „Götzen geopfertem Speisefleisch, unausgeblutetem Speisefleisch und Verzehr von Blut an sich, zudem von unerlaubten sexuellen Beziehungen“ sollte sich gewissenhaft enthalten werden (Apg. 15:29).

Bevor wir näher auf die aufgezählten Punkte eingehen, hier ein Blick auf die Reichweite dieses Verses:

Geht aus Apg. 15 hervor, dass ein Gremium von Männern jegliche Lehrfragen verbindlich festlegen soll? 
Nein, es geht deutlich hervor, dass es sich um eine einmalige und endgültige Klärung einer Frage handelt - nicht um einen von vielen Beschlüssen. Die Beschneidung sollte nicht mehr praktiziert werden, wohl aber der Verzicht auf Blut und unerlaubte sexuelle Beziehungen.

Ist dies nicht eine Art „Leitende Körperschaft“ in Apostelgeschichte 15?
Es ist keine weitere derartige Zusammenkunft bekannt und es gibt keine Aufforderung in der Bibel, einen zentralen Rat für die Christengemeinde zu unterhalten. Durch die besondere Tatsache, dass alle bzw. zumindest noch viele Apostel des Herrn Jesus (die er persönlich ernannte) am Leben waren, eigneten sich diese Männer zur Klärung dieser theologischen Debatte in einzigartiger Weise.

War es nicht klar, dass dann auch die Nachfolger der Apostel ebenfalls theologische Fragen klären und die Antworten darauf festlegen sollten?
Die Bibel berichtet nicht davon, dass weitere Apostel außer Matthias (als Ersatz für Judas Iskariot) und Paulus (als „Apostel für die Nichtjuden“) ernannt wurden. Eine Anweisung, ob und wie Nachfolger gewählt werden sollten gibt es nicht. Daher gehen die meisten Bibelgelehrten davon aus, dass mit dem Tod des letzten von Jesus ernannten Apostels, nämlich Johannes, keine neuen Nachfolgeapostel gewählt wurden.

Wer schrieb denn dann vor, wie die einzelnen Versammlungen organisiert und ablaufen sollten?
Diejenigen, die die Versammlungen gründeten und ihnen als Älteste vorstanden. Verbindliche Regeln gab es nicht. Wie aus den paulinischen Briefen hervorgeht, war Paulus offensichtlich der Einzige, der zu gewissen, in seinen Augen offensichtlichen Regelungen animierte und ermahnte.

Die Apostel beschlossen also in Jerusalem, wie die Themen Beschneidung, Götzen geopfertes Fleisch, Blut und sexuelle Unmoral anzusehen seien ohne Regeln im Detail zu definieren. Da es einfache Richtlinien waren, war das auch nicht nötig. Zum Thema sexuelle Unmoral gab es auch keine Erörterung. Aufgrund des verwendeten griechischen Wortes ist davon auszugehen, dass damit mindestens Folgendes gemeint war: Prostitution, Päderastie, Vergewaltigung, Sodomie, Inzest, Ehebruch, Polygamie, Promiskuität, uneheliche Kinder.

Doch nun wird es spannend: Denn Paulus relativiert einige Jahre später diese verbindlich gewesenen Richtlinien. In 1. Korinther 8 finden wir eine Abhandlung darüber, dass der reife Christ problemlos Götzen geopfertes Fleisch essen könnte, da die Götzen ja keine echten Götter seien und das Fleisch daher quasi nichts dafür könne, für ein Ritual missbraucht worden zu sein. Aber da viele Christen nicht diese fortgeschrittene Erkenntnis hätten und das Fleisch immer noch als mit dem Götzendienst verbunden ansähen, sollte man auf das Essen von diesem Fleisch verzichten, falls jemand daran anstoß nehmen könnte. Bevor es einen glaubensschwachen Mitgläubigen noch zu Fall brächte, solle man lieber auf de Verzehr des Götzenfleisches verzichten. Paulus weicht hier also etwas auf, was von den Aposteln in Jerusalem verbindlich festgelegt wurde. Wir wissen nichts von einer vorherigen Entscheidung einer imaginären Leitenden Körperschaft, die dies so beschlossen hätte. Es ist offensichtlich eine theologische, logische Ansicht des Paulus. Dadurch hielt er nicht an der Festlegung der Apostel fest und hielt vor dem Versenden seines Briefes an die Korinther wohl keine Rücksprache mit ihnen.
Erstaunlich, nicht wahr? Gab es also gar keine „Leitende Körperschaft“, die in Lehrfragen Festlegungen machte? Nach allem, was wir in der Bibel lesen können, scheint es so zu sein.

Und so kommt es, dass die Speisevorschriften in Apostelgeschichte 15 von vielen Bibelgelehrten als temporäre Vorgaben angesehen werden, um die Gemeinschaft von zu Christen gewordenen Juden und Nichtjuden keine Steine in den Weg zu legen. Für einen Juden war es schließlich aufgrund des mosaischen Gesetzes selbstverständlich, Blut als heilig und unter keinen Umständen als verzehrbar anzusehen. Daher sind Jehovas Zeugen eine der wenigen christlichen Gemeinschaften, die Blutverzehr als nach wie vor frevelhaft ansehen, während sich sowohl die großen Kirchen als auch viele kleinere Glaubensgemeinschaften nicht gegen Speisen wie Blutwurst und auch nicht gegen Bluttransfusionen aussprechen. Sie tun es nicht aus Mangel an biblischem Wissen, sondern aus der Schlussfolgerung, dass Apostelgeschichte 15 für den heutigen Christen nicht mehr bindend seien. Während die Mahnung bzgl. sexueller Unmoral auch vom Herrn Jesus gemacht wurde, ist dies von Blut und Götzen geopfertem Fleisch nicht zu sagen.

Dem gemeinen Zeugen Jehovas sträuben sich bei diesen Gedanken die Haare. Die Halsschlagader fängt stark zu pochen an. Und dennoch ist es nur das, was aus der Bibel zu dem Thema hervorgeht. 
Es geht hier nicht darum, Jehovas Zeugen schlecht zu reden, sondern darum, was die Bibel wirklich bzw. offensichtlich lehrt.


Dieser Artikel ist auch auf der Unterseite Tiefergehende Betrachtung schwerwiegender biblischer Themen und ihrer Praxis bei Jehovas Zeugen zu finden.

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