Montag, 26. Oktober 2015

Dates und Sex unter jungen Zeugen Jehovas

Es ist fast eine Art Anekdoten-Montag, aber mir kam der Gedanke, dass ich doch mal berichten könnte, was es mit Kennenlernen und Sex bei jugendlichen Jehovas Zeugen eigentlich auf sich hat. Wenn man erwähnt, dass man einer ist/war, kommen meistens sofort Fragen zu diesem Thema.
JW.org liefert uns eine grandiose Vorlage, die ich hier zitieren möchte. Die Hervorhebungen sind von mir:


"Jehovas Zeugen sind überzeugt, dass die Grundsätze und Regeln der Bibel dabei helfen, gute Entscheidungen zu treffen — Entscheidungen, über die Gott sich freut und die auch für einen selbst das Beste sind (Jesaja 48:17, 18). Wir haben diese Grundsätze und Regeln nicht selbst erfunden, aber wir halten uns daran. Hier ein paar, die sich um das Thema Partnersuche drehen:

Die Ehe ist etwas Dauerhaftes (Matthäus 19:6). Für Zeugen Jehovas ist Dating ein Schritt in Richtung Ehe, und deswegen nehmen sie das ernst.

Dating ist nur etwas für jemanden, der auch alt genug zum Heiraten ist. Die Bibel sagt, man sollte „über die Blüte der Jugend“ hinaus sein, das heißt ein Alter erreicht haben, in dem sich nicht alles nur um Sex dreht (1. Korinther 7:36).

Ein Date kommt nur infrage, wenn keiner der beiden an einen Partner gebunden ist. Manche sind zwar gesetzlich geschieden, sind es aber nicht von Gottes Standpunkt aus. Für ihn ist eine Scheidung nur dann gültig, wenn es zu Ehebruch kam (Matthäus 19:9).

Für Christen gilt die Regel, nur jemanden mit demselben Glauben zu heiraten (1. Korinther 7:39). Jehovas Zeugen verstehen das so, dass es nicht ausreicht, wenn jemand ihren Glauben respektiert. Es geht vielmehr darum, dass derjenige diesen Glauben lebt und ein getaufter Zeuge Jehovas ist (2. Korinther 6:14). Gott hat sein Volk schon immer angewiesen, nur jemanden mit demselben Glauben zu heiraten (1. Mose 24:3; Maleachi 2:11). Wie Studien belegen, trägt das sehr zur Stabilität der Ehe bei.

[...] 
Vieles, was heute in der Kennenlernphase allgemein üblich ist, ist eigentlich ein schweres Vergehen vor Gott. Zum Beispiel verbietet die Bibel sexuelle Unmoral. Dazu gehören nicht nur Geschlechtsverkehr an sich, sondern auch andere intime Handlungen zwischen Unverheirateten, wie Petting, Oralsex und Analsex (1. Korinther 6:9-11). Selbst sexuell erregendes Verhalten, das nah an der Grenze zu sexueller Unmoral ist, wird in der Bibel als „Unreinheit“ verurteilt (Galater 5:19-21). Auch anzügliche Gespräche — in der Bibel als „unzüchtige Rede“ bezeichnet — sind von Gottes Standpunkt aus verkehrt (Kolosser 3:8).

Das Herz ist verräterisch (Jeremia 17:9). Es kann zu Dingen verführen, von denen man weiß, dass sie falsch sind. Paare können dem vorbeugen, wenn sie Situationen meiden, in denen sie allein sind und es schwerfallen könnte, die Gefühle zu kontrollieren. Viele bleiben vielleicht lieber in der Gruppe oder haben noch eine Begleitperson dabei (Sprüche 28:26). Christen sind sich auch der Gefahren von Online-Dating-Seiten bewusst, gerade weil man den anderen meist gar nicht wirklich kennt (Psalm 26:4)."

Diese Darstellung ist ein wenig geschönt, aber dennoch sehr authentisch. Warum, möchte ich im Folgenden erklären:

Dieser Gesichtsausdruck passt
sowohl auf Menschen, die von den
Dating-Regeln der Zeugen Jehovas
das erste Mal hören, als auch auf
die Verstörung vieler Zeugen Jehovas
aufgrund der vielen Regeln und
offensiven Methoden, dass sie
auch ja eingehalten werden.
Ein kleiner Mensch wird langsam erwachsen. Die meisten behütet Aufgewachsenen in unsrem Land interessieren sich dann mit ca. 13, 14 Jahren dafür, mal wie ein Erwachsener ein Date mit jemand vom anderen Geschlecht zu haben. Es ist in Deutschland üblich, zwischen 14 und 18 seine Jungfräulichkeit zu verlieren.
Wie aber ist es als Zeuge Jehovas? Der Großteil der Zeugen Jehovas-Eltern werden ihren Kindern Dates verbieten, bis sie fast erwachsen sind. Meiner Erfahrung nach ist man in Deutschland "relativ liberal" und Zeugen Jehovas daten sich oft z.B. mit 16. In den USA ist es gang und gäbe den Kindern, besonders Töchtern, bis 18 oder 21 Dates grundsätzlich zu verbieten mit dem Hinweis, dass man doch nicht nicht im heiratsfähigen Alter sei und es schnell zu Sex kommen könne, den man danach bereuen würde.
Wenn man als kleiner Zeuge Jehovas in zartem Alter also Dates hat, laufen diese fast immer komplett fummelfrei ab. Immerhin ist man des Glaubens, dass es eine Sünde vor Gott sei, vor der Ehe intim zu werden und das ist für ein Zeugen Jehovas-Kind genau die Wahrheit, die es seit seiner Geburt gelernt hat und nicht daran zweifelt. Natürlich schauen die meisten Jungs auch mal einen Porno und masturbieren regelmäßig, aber nur mit hinterher schlechtem Gewissen, da Pornographie und Masturbation als Sünde angesehen werden. Ich habe allerdings noch nie einen jugendlichen Zeugen Jehovas kennen gelernt (als ich selbst noch in diesem Alter war) der mir nicht gesagt hätte, dass er auch hin und wieder schwach wird. Viele sehen es auch als gar nicht so schlimm an, obwohl es offiziell als eindeutig schlimm und sündig angesehen wird.
Wie läuft ein Date unter jugendlichen Zeugen Jehovas ab, sofern sie wirklich eins haben dürfen? Die meisten Eltern bestehen auf einer Begleitperson. Zu zweit Auto fahren oder ins Kino gehen ist meistens tabu. Das könnte ja zu "unangebrachten Wünschen", wie es offiziell genannt wird, oder schlicht gesagt: Fummelei, führen. 
In der Regel hat man dann einige "Beziehungen", in denen man mit dem Partner fast nie zu weit ist und natürlich auch keinen Sex hat. Küssen ist erlaubt und die meisten Zeugen Jehovas haben nichts gegen voreheliche Zungenküsse, auch wenn diese früher ebenfalls verpönt waren. Was ja auch in oben zitierter Beschreibung von Jehovas Zeugen klar steht: Anal- und Oralverkehr, sowie jegliches Fummeln ist tabu. Anal- und Oralsex nach den offiziellen Schriften auch noch nach der Eheschließung, da sie als widernatürlich angesehen werden.

Was klar wie ein aufgelöster Maggi-Brühwürfel ist: Der Partner muss ein Zeuge Jehovas, idealerweise ein getaufter, sein. Die biblische Grundlage dafür ist zwar sehr dünn, aber für Jehovas Zeugen erscheint es eindeutig biblisch. Schließlich sollte im alttestamentlichen Volk Israel auch nur untereinander geheiratet werden. (Ob ein Volk mit einer Religion mit der Christenheit bestehend aus tausenden verschiedenen Völkern und hunderten verschiedenen christlichen Religionen vergleichbar ist - dies ist natürlich ein offensichtlicher Logikfehler, der jedoch von Jehovas Zeugen komplett ignoriert wird).
Nach einer oder mehrere solcher sexlosen Beziehungen wird dann geheiratet, meistens zwischen 18 und 22. Diese Ehe hat bis zum Tod bestand. Ausnahme: Einer der Partner geht fremd. Es ist natürlich gut vorstellbar, dass diese "Notbremse" des Öfteren absichtlich gezogen wird, um einer lieblosen, eigenartigen oder gar gewalttätigen Ehe zu entfliehen und gleichzeitig die als göttlich angesehenen Gebote zu halten. Und natürlich sind Eheprobleme alltäglich, wenn man 1. so jung heiratet, 2. den Partner vor der Hochzeit in bestimmten Situationen vor der Hochzeit nie erlebt hat und 3. oftmals bereits nach 6-9 Monaten Kennenlernzeit heiratet.
Wer von den Regeln abweicht, wird hart sanktioniert. Wenn eine unverheiratete Frau bei einem unverheirateten Mann übernachtet, kann ein Ausschlussverfahren ("Rechtskomitee") eingeleitet werden, auch wenn beide darauf bestehen, dass sie in getrennten Betten schliefen. Diese Regel ist übrigens auch der Grund, warum ein Zeuge Jehovas normalerweise nicht in gemischten WGs wohnt - tut er es trotzdem, darf er als Mann keine Ämter innehaben, da er dann als unvorbildlich angesehen wird, und als Frau dürfen keine "Vorrechte" wie die Mitgestaltung des Gottesdienstes mehr wahrnehmen und der Predigerstatus "Pionier" und "Hilfspionier" wird aberkannt. Man muss sich das auch immer so vorstellen: Wenn sich jemand in so eine Grauzone begibt wie z.B. eben das Wohnen in einer gemischten WG, dann werden ihm die Ältesten solange "gut zureden", bis er seine Wohnsituation ändert.*

Wo lernen sich heiratswillige Zeugen Jehovas eigentlich kennen? Durch Freunde innerhalb der Zeugen Jehovas oder durch den Besuch von Nachbarversammlungen. Es gibt fast keine anderen Kennenlernmöglichkeiten, da Online-Dating tabusiert wird und die Heirat eines Andersgläubigen als schwerwiegender Fehler geahndet wird (die Konsequenz ist übrigens nicht der Ausschluss, sondern der temporäre Entzug aller Ämter und Mitwirkungsmöglichkeiten - außer das Predigen und Kommentaregeben während der Zusammenkünfte, das darf man auch weiterhin noch mitmachen*).

Ein großes Thema ist natürlich der Status der Verlobung. Auch als Verlobte ist jegliche Zweisamkeit tabu. Wer eine Hochzeitsansprache im Königreichssaal haben möchte, wird vor der Hochzeit gefragt, ob sie irgendeine sexuelle Aktivität hatten. Auch Fummeln obwohl Hose an wird zu einem Ausschlussverfahren (Rechtskomitee) führen. Daher hat es sich etabliert, entweder nicht im Königreichssaal zu heiraten oder zu lügen, falls etwas vorgefallen sein sollte. Hier muss man bemerken, dass wir immer noch von Menschen reden, die so etwas wie Schamgefühl besetzen. Stellen Sie sich mal vor, wie peinlich es ist, als junges Pärchen mit ca. 20 Jahren vor 3 älteren Herren im Detail zu erklären, dass die Verlobte 2 Monaten lang durch die Hose das beste Stück des Verlobten berührt hat. Und das ist keine Lapalie - wie gesagt wird dies streng geahndet, wenn man es zugibt. Die Hochzeit darf dann z.B. nicht mehr im Königreichssaal stattfinden und es wird erwartet, dass man diese sog. "unreine Handlung" zutiefst bereut. Ansonsten wird man von den Zeugen Jehovas exkommuniziert werden.

Sowas gibt's wirklich heute noch? Ja, sowas gibt's heute noch unter den ca. 7 Millionen Zeugen Jehovas weltweit.

Ich schrieb, dass obiger Bericht von jw.org etwas geschönt ist. Wer sich mal die monatlichen Fernsehsendungen von Jehovas Zeugen auf tv.jw.org ansieht und die Studienausgabe des Wachtturms liest, wird schnell merken, dass Folgendes oft kommunziert wird:

  • Es sei nicht nur unratsam, sondern eine Sünde einen nicht-Zeugen Jehovas zu daten oder zu heiraten.
  • Bevor man sich mit jemand verlobt, solle man die Ältesten der Versammlung (Gemeinde) des potentiellen Partners befragen, ob derjenigen in gutem Ruf steht und "geistig gesinnt" (= sich nach den Regeln der Zeugen Jehovas verhält) ist.
  • Online-Dating ist tabu, da man dadurch seinen Ruf beschmutzen könnte, wenn es jemand anders mitbekäme.
  • Das Idealbild: Die jung Verheirateten konzentrieren sich gemeinsam als Vollzeitprediger auf das "Predigtwerk", verzichten auf ein Universitätsstudium und gehen für den Lebensunterhalt einer nicht-akademischen Teilzeitarbeit nach.
  • Man tut so, als hätte man die oben zitierten Dating-Regeln nicht selbst erfunden, aber doch: Genau das hat man, weil sie relativ fundamentlose, aus dem Zusammenhang gerissene Interpretationen einiger Bibelverse sind.
  • Wer Pornographie ansieht oder masturbiert, solle sich den Ältesten seiner Versammlung anvertrauen, um davon loszukommen. (Diese werden ihm dann eigentlich nur einige Artikel aus dem Wachtturm empfehlen und mit ihm beten.)

Fußnoten

Der Stil solcher "gut gemeinter Gespräche" ist zunächst: "Du musst doch ein Vorbild für die jungen Leute sein, daher bitten wir dich..." Bei Uneinsichtigen schwenkt der Zuredungsstil dann irgendwann um auf: "Wenn du nicht, dann darfst du nicht mehr dies das jenes." Diesdasjenes sind sogenannte Vorrechte wie das Mithelfen bei Gottesdienstvorbereitungen oder Königreichssaalbaustellen sowie die Möglichkeit, einen Vollzeitpredigerstatus zu bekommen ("Hilfspionier" und "Pionier" genannt).

** Unter dem Kommentaregeben bei Zeugen Jehovas versteht man, dass während eines Gottesdienstes oftmals Fragen ins Publikum gestellt werden, die von allen beantwortet werden können. Es wird eine Frage gestellt (zum Beispiel: "Warum sehen wir es als so wichtig an, zu predigen?" und jeder, der diese Frage beantworten möchte, kann sich melden. Die Antwort steht meistens in einem Wachtturm-Artikel oder Buchabschnitt, der die Grundlage der Besprechung ist. Unterm Strich ein Frage-Antwort-Spiel auf Grundschulniveau. 


1 Kommentar:

  1. Diese sichtweise ist sehr alttestamentarisch und kann heute nicht mehr als ein ehrenkodex gueltig sein. selbstverstaendlich kann man sich ueber vorehelichen sex verhalten und strenge moralregeln haben, wenn diese medizinisch haltbar sind, aber wenn man den menschen ganzheitlich sieht, wie es nach heutigen wissenschftlichen erkenntnissen gang und gaebe ist, ist dies auch eigetlich mehr schaedlich als nuetzlich , hinsichtlich der gesunden entwicklung eines menschlichen individuums. Heute muss man sich eigentlich fragen, warum JZ keine regeln haben halal geschlachtetes fleische essen zu muessen oder die sharia gesetze einhalten zu muessen, hand fuer hand und auge fuer auge, die bibel ist neutestamentarisch eigentlich eine theologie nach paulus und nicht eigentlich Jesuses testament. Jesus war ja bekannt als ein guter jude , der die gesetze besser kannte und sich gedanken machte ueber deren effektifitet und wie sie eingehalten wurden, daher auch die grosse kritik gegenueber den pharisaeern. in den meisten christlichen kirchen herrscht heute eine mehr nach Paulus ausgerichtetete theologie. Jesus Christus wuerde sicher anders urteilen, so wie er in der bibel beschrieben wird! die katholische kirche bestand ja viele jahrhunderte darauf, dass die bibel nicht uebersetzte werden duerfte, da man den sinn nicht mehr verstuende wie es damals gemeint war, und das ist ein richtiger standpunkt eigentlich, denn man muss die zeit und den ausdruck miteinbeziehen um es richtig zu verstehen. Daher auch die grosse kritik an der Neuen Weltueberstzung der Zeugen Jehovas mit einer wort fuer wort uebersetzung, die einen vollstaendigen anderen sinn heute verstehen laesst. Jesus kritisierte damals zb die tempelprostitution und Paulus brauchte das als wiederholung, so gilt heute bei vielen homosexualitaet als suende. das war aber in einem bestimmten kontext geschrieben und gemeint.. viele regeln der zeugen heute sind menschenwerk und unbiblisch, und mehr extrem als ich diese als junger mann kennengelernt habe, die unsoziale behandlung der menschen, die ausgeschlossen werden koennen sind psychische tortur, so wie sie von den menschenrechten heute nicht mehr vertretbar sind. auch die bestrafung deren kinder mit koerperlicher zuechtigung so wie ich es bei meinen verwanten erlebte ist strafbar in unserem geltenden rechtssystem heute.die Zeugen Jehovas entwickeln sich scheinbar nur in eine richtung , welche vorgegeben wird von der gesellschaft, und nicht nach den geltenden allgemeinen rechten, wo sie allerdings behaupten, dass sie das dem koenig geben, was ihm zusteht ( die geltenden staatsrechte einhalten). heute wird auch die geschichte Israels wissenschaftlich ganz anders angesehen, als mas den eindruck von der bibel (alttestamentarisch) bekommen koennte. Mein e einstellung ist : guter rat und vorsicht sind immer gut, aber nicht die regeln der zeugen alleingueltig und univeriell als gotes gesetz. alles muss der situation entsprechend beurteilt werden. kein schwarz -weiss denken!

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